Sondermaschinenbau: Personelle Kapazitätsengpässe intelligent lösen!

Erschienen am 18.02.2019 auf UNITEDINTERIM BLOG:

Kapazitätsprobleme gehören zu den klassischen Herausforderungen im Maschinenbau. Typischerweise zeigt sich das folgende Muster:

Zu Zeiten des Auftragsmangels werden wertvolle Mitarbeiter und sogar Knowhow-Träger als lästige „Überkapazitäten“ empfunden. In der Regel wird dann einem automatischen Reflex gefolgt und umgehend Personal abgebaut. Bei einem Konjunkturaufschwung oder vollen Auftragsbüchern (was ja auch immer wieder passiert) haben wir dann „plötzlich“ wieder zu wenig Personal, zu wenig qualifizierte Leute und erhöhten Termindruck. Das ist dann vielfach auch noch mit „ungeplanten“ finanziellen Engpässen gepaart, denn die Zahlungseingänge vom Kunden erfolgen oft erst zum Ende des Projektes. Ein Maschinenbauer muss ja oft vorfinanzieren.

 

Was macht man im Maschinenbau in solch einer Situation?

Ich möchte heute über die trivial anmutende Antwort „einfach wieder Leute einstellen“ hinausdenken, denn das greift als Lösung zu kurz. Jedem ist klar, dass gerade in Zeiten hoher Nachfrage die besonders qualifizierten und dringend gebrauchten Leute stark gesucht sind. Hat das Unternehmen aus der Vergangenheit eine Mentalität des „hire & fire“, kann das dann auch nicht gerade zum besten Ruf und hoher Attraktivität am Arbeitsmarkt beitragen. Nicht jede Firma liegt zudem in beliebten Großstädten wie München. Daher möchte ich einen umfassenderen – und daher nachhaltigeren – Ansatz beleuchten. Dieser ergänzt die Überlegungen rund um die Erweiterung der personellen Kapazitäten mit dem Aspekt der Verringerung des Arbeitsaufwandes und der Unternehmenskultur.

 

Optimieren und Standardisieren

Planung und Prozesse haben eine zentrale Bedeutung und sollten vorrangig auf Effektivität und Praxisorientierung überprüft werden. In der Praxis zeigen sich die folgenden Schlüsselfragen, wenn es um Optimierung geht:

(1) Wird in der Vertriebsphase bei einer Kundenanfrage der zu erwartende Projektaufwand bezüglich Material, Arbeit und Zeit richtig eingeschätzt?

(2) Sind die Fachabteilungen bei dieser Evaluierung involviert und in wieweit fließt deren Fachkompetenz und Einschätzung in den weiteren Vertriebsprozess mit ein?

(3) Wird hinsichtlich der zu erwartenden Herstellkosten strukturiert, übersichtlich und nachvollziehbar kalkuliert, und ist bereits im Basisvertrag das Thema Claim Management vorbereitet?

(4) Sind effektive Kontrollmechanismen implementiert, um Fehler, Störungen und Abweichungen in den Projekten zeitnah zu erkennen und korrigierend eingreifen zu können?

(5) Gibt es eine effektive und praxistaugliche Übergabe z.B. für die Übergänge Engineering <-> Fertigung <-> Inbetriebnahme, sowie ein dazugehöriges, einheitliches Übergabeprotokoll?

(6) Werden Projektreviews als Teil des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses durchgeführt und sind alle wichtigen Projektteilnehmer involviert?

Letztlich sollten neben dem Prozess der Optimierung die Standardisierung anstehen. Standardisierung im Maschinenbau ist auf Betriebsmittel- oder Bauteilebene schon weit vorangeschritten. Der Maschinenbau, und insbesondere der Sondermaschinenbau, tut sich allerdings meist schwer, Maschinenfunktionen, Baugruppen, Module oder sogar ganze Maschinen zu standardisieren. Zugegeben, das ist keine leichte Aufgabe und der Aufwand ist relativ groß. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Vorteil klar überwiegt. Standardisierte Teile müssen in der Vertriebsphase nicht neu kalkuliert werden. Der Produktionsaufwand ist von vorn herein bekannt, Kosten, Personal- und Zeitaufwand also auch. Und Kinderkrankheiten lassen sich wesentlich effektiver und nachhaltiger beseitigen als bei Prototypen.

Ein weiterer, genau so wichtiger, Punkt ist die Standardisierung von Werkzeugen. Konstruktionstools, wie z.B. Eplan, sollten unternehmensweit einheitlich und standardisiert eingesetzt werden. Z.B. sollten eine einheitliche Eplan-Version, standardisierte Konstruktionsmethoden sowie genormte Makros zum Einsatz kommen. Gleiches gilt in der Softwareentwicklung. S7-Programme sollten unternehmensweit einheitlich und standardisiert aufgebaut sein. Hier sollten Standardprozeduren verwendet werden und die E/A- und Datenbereiche sollten in genormte Funktionsbereiche gegliedert sein.

 

Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Betrachtung der Effizienz von Arbeit. Gute Teamarbeit setzt die Identifikation mit dem Projekt für jeden einzelnen Mitarbeiter voraus. Dabei sind vertrauensvolle Zusammenarbeit und offene, zielgerichtete Kommunikation elementar wichtig. Sie sind die Basisparameter für motivierte Mitarbeiter und letztlich erfolgreiche Projekte.

In diesen und ähnlichen Bereichen und Fragestellungen habe ich in der Vergangenheit häufig signifikanten Verbesserungsbedarf ermittelt und Lösungen zur Optimierung entwickelt. Meine Umsetzung führte dabei häufig zu erheblichen Arbeitserleichterungen. Damit einhergehend zu wesentlicher Einsprung von Arbeitszeit, was ein sehr wesentlicher Punkt ist, wenn es in vorausschauender Weise um (potentielle) Kapazitätsprobleme geht.

 

Erweiterung der personellen Kapazitäten

In der Praxis werden meist die folgenden Lösungselemente gesehen:

(1) Mitarbeiter (fest) einstellen

(2) Nutzung von Personaldienstleistern

(3) Hausinterne Umschulung oder Weiterbildung

(4) Projektvergabe (subcontracting)

Neue Mitarbeiter einzustellen dürfe nichts Neues sein. Auch die Möglichkeit, auf Personaldienstleister oder Freelancer zurückzugreifen, ist sicherlich bekannt und üblich. Aber was machen, wenn beides nicht weiterführt? Ich habe bei einem Kunden die Idee, eigene Mitarbeiter umzuschulen, erfolgreich umgesetzt. Konkret wurden zusätzliche S7-Programmierer im Sondermaschinenbau benötigt. Wir haben eigene Mitarbeiter, die sich für unser Weiterbildungsprogramm gemeldet hatten und eine Elektrofachausbildung mitbrachten, über unser betriebsinternes Schulungskonzept zu Programmierern weitergebildet. Auch wurden Elektrofachkräfte eingestellt und hausintern zu Programmierern ausgebildet. Das war ein sehr attraktives Angebot, was gerne angenommen wurde: Von externen Bewerbern genauso, wie vom vorhandenen Mitarbeiterstamm. Das personelle Kapazitätsproblem „Programmierer“ wurde auf diese Weise zeitnah überwunden. Das Konzept „interne Weiterbildung“ wird noch heute erfolgreich angewandt und liefert der Firma wertvolle Mitarbeiter mit maßgeschneiderter Fachqualifikation.

Eine weitere sehr effektive Methode zur Überwindung von Kapazitätsengpässen ist die Projektvergabe, das „subcontracting“. Hier werden meistens Teilprojekte (z.B. die komplette Elektrotechnik) an einen Sublieferanten oder Subcontractor vergeben. Aber auch die Vergabe von Teilmengen wie z.B. Konstruktion, Schaltschrankbau, Maschineninstallation, Programmierung oder Inbetriebnahme sind möglich. Das Thema Subcontracting ist relativ komplex und umfasst diverse Bereiche und Projektabschnitte, die beleuchtet werden müssen. Ich werde in meinem nächsten Blog ausführlich darauf eingehen.

 

Fazit:

Personelle Kapazitätsengpässe fallen nicht plötzlich vom Himmel, selbst wenn sie in der Praxis immer wieder mit „Geschrei“ verbunden sind. Sie lassen sich einerseits durch „Optimieren und Standardisieren“ verringern – zumindest jedoch in gewissen Grenzen halten. Zum anderen kann ein ganzes Bündel an Maßnahmen vorbereitet (quasi schon gut vorgeplant) in der Schublade liegen. Es geht somit um einen nachhaltigen Ansatz mit proaktivem, unternehmerisch geprägtem Denken und Handeln.

Mein persönlicher Tipp: Alle Mitarbeiter sollten wissen, dass die Firma auf gute und schlechte Zeiten professionell vorbereitet ist. Das ist dann noch eine wichtige Verbindung zum Thema der Unternehmenskultur.

Dieter Michel – Experte für Automatisierungstechnik



Dieser Beitrag erscheint auch auf der Plattform UNITEDINTERIM Blog